Ich hatte schon eine ganze Weile geplant, eines der Berliner "Fotografenmekkas" zu besuchen – das verlassene Säuglings- und Kinderkrankenhaus
in Weißensee. Das Gebäude und die damit verbundenen Geschichten faszinierten mich schon sehr und ich wollte mir unbedingt selbst ein Bild machen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Es wurde als erstes Kinderkrankenhaus in Preußen 1911 eröffnet. Gleichzeitig wurde eine "Milchkuranstalt" eingerichtet, die einen Kuhstall und eine Molkerei umfasste. Das Krankenhaus avancierte damals zu einem der
besten Häuser dieser Art.
Etwas gänsehautlastiger sind allerdings die
Geschichten über die hohe Sterblichkeitsrate der Babies und Kleinkinder während
des Stasiregimes. Später fand man heraus, dass die Kinder nicht gestorben
waren, sondern an kinderlose, reiche Familien gegeben oder aber zwangsadoptiert wurden, weil ihre Eltern Regimegegner waren.
1997 wurde das Krankenhaus geschlossen und steht seitdem leer. Vor einigen Jahren von einem russischen Investor gekauft, soll angeblich irgendwann eine Krebsklinik auf dem Gelände entstehen.
Da sind wir also – an einem sonnigen, aber kalter Novembertag. Im Gepäck ein etwas mulmiges Gefühl, unsicher, was uns erwartet.
Ich hatte mir im Vorfeld viele Bilder angeschaut und Berichte gelesen. Von
Obdachlosen und gewaltbereiten Nazis ist die Rede, aber auch von anderen "Untoten" und Geistern. In einigen Berichten meint man auf Bildern Kinderseelen
entdeckt zu haben. Keine Ahnung wovor ich nun am meisten Angst haben soll.
Der
Einstieg ist einfacher als gedacht, wir zwängen uns durch einen kaputten Zaun
und stehen kurz darauf im Gebäude bzw. dem was davon übrig ist. Es ist nicht zu übersehen, dass in dem Gebäude wirklich Obdachlose übernachten und auch sonst oft „Besuch“ in den Gemäuern ist.
Gespenstische Ruhe im Inneren, überall Gerümpel,
zerbrochene Fensterscheiben, nicht enden wollende Flure, Raum an Raum und alles
geprägt von Zerstörungswut und beschmierten Wänden. Schwer vorstellbar, dass
hier einmal Kinderleben gerettet worden sind.
Irgendwie
hängen mir die schicksalhaften Anekdoten doch nach, als wir von Raum zu Raum
laufen, manchmal eher klettern, immer in Erwartung irgendeines schrecklichen
Anblicks.
Es sind
unzählig viele Räume im Haupthaus, Gänge, Nischen. Mehrere Etagen, verbunden
durch das, was mal Treppen waren. Jemand hat Teelichter auf den Treppenstufen verteilt, aber romantisch wirkt das nicht gerade. Wir machen nur vorsichtige Schritte. Hier und
da sind Löcher im Fußboden und man kann eine Etage tiefer gucken – oder
wahlweise fallen.
Irgendwann gelangen wir über eine schmale Treppe auf einen
Dachboden. Morsches nasses Holz, aber trotzdem geprägt von einer seltsamen Schönheit, denn an diesem Tag fällt das Licht durch die verbliebenen Balken und
zeichnet jedes Staubkorn ab. Irgendwer hat „I love this place“ an die Wand
gesprayt. Yes - I love this place.
Als wir
später in einem deutlich dunkleren Nebengebäude auf den Dachboden klettern,
sind wieder große Löcher im Boden, tatsächlich so als wäre jemand
durchgebrochen. Das Holz sieht marode aus und trotz der verlockenden
Lichtstrahlen, trauen wir uns nicht weiter und treten den Rückzug an. Als würde
es etwas nutzen, steht mit roten Lettern STOP an einem Balken.
Auch
draußen ist alles ziemlich verwildert, dazwischen liegt aber auch buntes
Herbstlaub…und ca. 1m tiefe Erdlöcher, Schächte oder was auch immer. Jedenfalls
tauchen sie plötzlich vor einem auf und ich möchte mir nicht ausmalen, hier im
Dunkeln oder im Winter herumzulaufen.
Ich
drücke insgesamt 474 mal auf den Auslöser. Marie ist mit ihren großen Augen und dem ernsten Blick wie geschaffen für diese Location. Ich bin froh, auf das richtige Model gewartet zu haben. Ein ganz anderes Fotoshooting und ein aufregender Tag, der mir definitiv in Erinnerung bleiben wird.
Hier ein paar unbearbeitete Bilder der Location. Fotos von Marie kommen später!